Zwischen Stille und Leben – Wiens Friedhöfe als Tierparadiese
- Marco Papajewski
- vor 2 Stunden
- 4 Min. Lesezeit
Wien ist eine der grünsten Metropolen Europas – und einige ihrer ungewöhnlichsten Naturrefugien liegen dort, wo man sie am wenigsten erwartet: auf Friedhöfen. Vor allem der Wiener Zentralfriedhof hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Hotspot der urbanen Artenvielfalt entwickelt. Doch auch kleinere Friedhöfe bieten Wildtieren sichere Rückzugsräume.

Friedhöfe als grüne Rückzugsorte
Mit ihren ausgedehnten Grünflächen, alten Bäumen, Hecken und selten gestörten Winkeln bieten Friedhöfe ideale Lebensbedingungen für viele Tierarten. Anders als in öffentlichen Parks sind die menschlichen Aktivitäten dort meist ruhiger, geregelter und zeitlich begrenzt. Es wird kaum Sport betrieben, Hunde sind oft verboten – und das schafft Ruhe für Tiere, die im hektischen Stadtleben sonst keinen Platz mehr finden.
Ruhe & geringe Störungen: Auf Friedhöfen herrscht wenig Betrieb – keine Hunde, kein Verkehr, kein Lärm. Das macht sie besonders attraktiv für scheue Arten wie Rehe, Füchse oder Feldhamster.
Alte Bäume & Totholz: Jahrzehntealte Baumriesen bieten Nistplätze, Höhlen und Nahrung für Vögel, Fledermäuse und Insekten. Umgestürzte Äste und Totholz bleiben oft liegen – ein wichtiger Lebensraum für viele Kleintiere.
Naturnahe Pflege: Viele Friedhöfe werden ohne Pestizide bewirtschaftet. Wildblumenwiesen, Hecken und Brachen bleiben erhalten und schaffen ein vielfältiges Ökosystem.
Strukturvielfalt: Die Mischung aus Wiesen, Sträuchern, Mauern, offenen Flächen und dichter Vegetation schafft unterschiedlichste Lebensräume auf engem Raum.
Schutz vor Gefahren: Friedhofsmauern und geschlossene Tore schirmen Tiere vor Straßenverkehr und menschlicher Nutzung ab – so entstehen fast „geschlossene Mini-Reservate“ mitten in der Stadt.
Artenvielfalt am Wiener Friedhöfen.
Neben Rehen und Feldhamstern sind Wiens Friedhöfe Heimat für eine erstaunlich große Zahl an Tierarten. Die Ruhe, die alten Bäume, Hecken und Brachen machen sie zu idealen Rückzugsorten für viele Lebewesen, die in der restlichen Stadt wenig Platz finden.
Füchse sind inzwischen regelmäßig auf mehreren Wiener Friedhöfen zu beobachten – besonders am Zentralfriedhof. Sie durchstreifen in der Dämmerung die Wege auf der Suche nach Nahrung. Aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit kommen sie gut mit dem städtischen Umfeld zurecht. Ihre Anwesenheit ist meist unproblematisch, solange sie nicht gefüttert oder bedrängt werden.
Ebenfalls weit verbreitet sind Eichhörnchen, die die alten Bäume als Kletter- und Nistplätze nutzen. Auch Igel fühlen sich auf Friedhöfen wohl, da sie genügend Verstecke und ein reiches Nahrungsangebot vorfinden. In ruhigen Bereichen mit dichter Vegetation leben außerdem Wildkaninchen und Feldhasen, die besonders in den frühen Morgenstunden aktiv sind.
Ein weiteres Highlight sind die Vögel: Über 100 Arten wurden allein am Zentralfriedhof gezählt. Dazu zählen Grün- und Buntspechte, Eichelhäher, Krähen, Meisen, aber auch Turmfalken und Waldkäuze. Die vielen alten Bäume mit Höhlen, Totholz und dichtem Laubwerk bieten ideale Brutbedingungen.
Auch Amphibien und Reptilien wurden in manchen Friedhofsteilen nachgewiesen, darunter Frösche, Kröten und vereinzelt sogar Ringelnattern, die besonders feuchte, versteckte Areale bevorzugen. Nicht zu vergessen sind die zahllosen Insektenarten, von Wildbienen über Schmetterlinge bis zu Laufkäfern – sie profitieren von Wildblumen, Totholz und extensiver Wiesenpflege.
Diese Vielfalt macht deutlich: Wiener Friedhöfe sind weit mehr als stille Orte des Gedenkens – sie sind lebendige Ökosysteme mitten in der Stadt, die einen wertvollen Beitrag zum Erhalt der urbanen Biodiversität leisten.
Rehe – die stillen Wächter des Friedhofs
Die Rehe des Wiener Zentralfriedhofs sind längst zu einem Symbol für die überraschende Tierwelt mitten in der Stadt geworden. Schon seit Jahrzehnten lebt hier eine kleine Population, die sich erstaunlich gut an die urbane Umgebung angepasst hat. Rehe sind äußerst scheue Tiere, doch der Friedhof bietet ihnen ideale Lebensbedingungen:
Dichte Vegetation und ruhige Zonen: Besonders in den weniger frequentierten Bereichen finden die Tiere dichte Hecken, Gebüsche und verwilderte Grabfelder, die ihnen Sichtschutz und Rückzugsräume bieten.
Wenig Störung durch Menschen: Besucher bewegen sich meist ruhig und regelmäßig, ohne die Tiere zu bedrängen. Das fördert ein stabiles Revierverhalten.
Vielfältige Nahrung: Der Friedhof bietet ein reiches Angebot an Pflanzen – von jungen Trieben über Laub bis zu Wildkräutern. Auch verwilderte Blumenbepflanzungen dienen als Futterquelle.
Schutz durch Umzäunung: Die Friedhofsmauern begrenzen das Areal, wodurch der Kontakt mit gefährlichem Straßenverkehr oder Hunden reduziert wird. Gleichzeitig fühlen sich die Rehe innerhalb des Geländes sicherer.
Stabile Sozialstruktur: Die Tiere bilden teils lockere Gruppen, häufig sind auch Kitze zu sehen. Die ruhige Umgebung ermöglicht konstante Reviere und regelmäßige Fortpflanzung.
Wer frühmorgens oder in der Abenddämmerung durch den Zentralfriedhof spaziert, hat gute Chancen, eines der Tiere zu sehen – ruhig grasend zwischen Gräbern oder auf einem schattigen Weg, stets aufmerksam, aber erstaunlich gelassen.
Feldhamster – seltene Rückkehrer
Der Feldhamster war in Wien jahrzehntelang fast verschwunden. Intensive Landwirtschaft, Flächenversiegelung und der Rückgang strukturreicher Wiesen hatten seinen Lebensraum stark eingeschränkt. Umso bemerkenswerter ist es, dass sich auf den Wiener Friedhöfen seit einigen Jahren wieder eine stabile Population etabliert hat. Die scheuen Nager leben hier meist unsichtbar – ihre Präsenz verraten lediglich die typischen Erdhöhlen mit glattem Rand, oft in sonnigen Rasenbereichen. Sie graben komplexe Bausysteme mit mehreren Kammern in bis zu zwei Metern Tiefe, wo sie auch ihren Winterschlaf halten.
Warum sie sich gerade auf dem Zentralfriedhof wohlfühlen, lässt sich gut erklären:
Offene, sonnige Wiesenflächen: Die locker bewachsenen Gräberfelder und unversiegelten Rasenflächen bieten ideale Bedingungen für das Graben und für die Nahrungssuche.
Naturnahe Pflege: Die Stadt Wien verzichtet auf Pestizide und mäht einige Flächen nur selten – das schafft ein vielfältiges Nahrungsangebot (Gräser, Samen, Kräuter) und fördert Insekten, die ebenfalls gefressen werden.
Ruhige Umgebung: Feldhamster sind besonders anfällig für Störungen. Friedhöfe bieten durch ihre Ruhe ideale Voraussetzungen für stabile Reviere und ungestörte Aufzucht.
Gezielte Schutzmaßnahmen: Die Stadt Wien und Naturschutzorganisationen wie der Naturschutzbund fördern den Erhalt der Population durch Monitoring, Rücksicht bei Grabfeldpflege und Öffentlichkeitsarbeit. Feldhamster stehen europaweit unter strengem Schutz (FFH-Richtlinie, Anhang IV).
Die Feldhamster stehen somit exemplarisch für gelungenen städtischen Artenschutz – und zeigen, dass auch seltene Tiere inmitten der Stadt überleben können, wenn die Bedingungen stimmen.
Zwischen Denkmalschutz und Naturschutz
Friedhöfe sind kulturelle Orte – aber immer öfter auch ökologische. Dieser Doppelcharakter stellt die Stadt Wien und die Friedhofsverwaltung vor Herausforderungen: Einerseits müssen historische Gräber gepflegt, Wege instand gehalten und Besucher berücksichtigt werden. Andererseits wächst das Bewusstsein für die Bedeutung urbaner Biodiversität.
Die Stadt Wien hat in den letzten Jahren verschiedene Maßnahmen gesetzt, um Friedhöfe ökologisch aufzuwerten, etwa durch den Verzicht auf Pestizide, die Förderung von Wildblumenwiesen oder das Aufstellen von Nistkästen. Auch Kooperationen mit Naturschutzorganisationen fördern die Beobachtung und den Schutz der Artenvielfalt.

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